Saturday, 29 August 2009

Clematis an meinem Gartenzaun
Meine Liebe, mein Lieber
Ich hoffe, es geht Euch allen gut und Ihr habt den doch langsam zu Ende gehenden Schweizer Sommer geniessen können.
Ich habe meinen zweiten Sommer in Schottland überaus genossen. Das Wetter war dieses Jahr deutlich angenehmer und die vielen verschiedenen Blumen und Disteln, die meine Nachbarn und ich heuer gezogen haben, geben Schmetterlingen und ihren Raupen die richtige Behausung und Nahrung. Pfauenaugen sind hier inzwischen wieder recht häufig, Monarchenfalter habe ich etliche gesehen, und Zitronenfalter flattern auch öfters durch die Bohnenstauden und um die Kapuzinerli.
Seit Mitte Mai ist alle paar Wochen jemand zu Besuch: Zuerst kamen meine Eltern im Mai, dann eine Freundin, dann mein jüngster Neffe (21), mit dem ich einen Tag im Meerkajak herumgepaddelt bin. Dann war eine junge Jus-Studentin aus Nigeria hier. Neulich traf ein jugendliches Freundespaar ein, das jetzt gerade nordwärts unterwegs ist und hier in gut einer Woche nochmals reinschneit, bevor sie zurück in die Schweiz reisen. Reto ist Koch und hat uns wunderbar bewirtet. Einmal gabs grünes Thaicurry mit Bio-Poulet und Crevetten aus der Gegend.
Vorgestern kamen frisch gefangene Makrelen auf den Tisch, mit einem wunderbaren Sommersalat aus lokalen und Bioprodukten.Mmmmh! Danke, Reto.
Bald schon kommt eine weitere, ältere Freundin, gefolgt von meiner Patentochter und ihrem Partner.
Vom 10.-17.10. ist hier National Mòd, ein Wettmusizieren, -Singen, -Rezitieren auf Gälisch und streng bewertet. Seit ca. 100 Jahren zum ersten Mal ist der Mòd wieder in Oban, da wollen wir vom Oban Gaelic Choir natürlich glänzen. Entsprechend sind wir fleissig am Üben und Proben. Es macht grossen Spass, ist aber auch eine ganz schöne Herausforderung. Inzwischen verstehe ich immerhin schon ein paar Brocken Gälisch und weiss auch halbwegs, wie man die unmöglich geschriebenen Wörter ausspricht. :) Bis in einem Jahr will ich aber wirklich wesentlich weiter sein. Wir hoffen, hier einen Kurs extra für den Chor auf die Beine zu stellen.Was meine Wohnsituation betrifft, habe ich inzwischen ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die lärmigen Nachbarn im unteren Stock zur Ordnung zu rufen -- es ist viel besser! So komme ich doch immer öfter zu 6 bis 7 Stunden gutem Schlaf, was mein Lebensgefühl enorm hebt.
Ich hoffe, dass bald auch noch der arme Hund einen besseren Platz findet, wo er mehr Auslauf hat und nicht tagelang eingeschlossen ist. Das Tier kann einem leid tun. So ist es nicht verwunderlich, dass es immer wieder heult und jault und bellt, wenn es allein gelassen ist und Fremde am Haus vorbei gehen.
Doch auch das ist besser als auch schon -- hoffen wir, es bleibt so. Dann kann ich hier wirklich gut leben.
Denn wenns ruhig ist, ist es sehr, sehr still und man hört bloss das Rauschen des Baches unten am Garten, und vielleicht noch das Rauschen des Windes in den Bäumen. Auch tagsüber ist es meist überaus ruhig, so dass ich gut und konzentriert arbeiten kann.
Im Sommer habe ich -- Details hier in einem anderen Eintrag -- in Edinburgh am MoonWalk teilgenommen. Den Nacht-Marathon im Schnellgang (aber nicht im Laufen), also 26,2 Meilen, habe ich auch wirklich geschafft. Es war ganz speziell, wenn auch sehr anstrengend.
Doch sowas mach ich in diesem Leben wirklich nur einmal und nicht wieder. Die Distanz ist mir schlicht zu gross. So bis zu 15, 16 Meilen schaffe ich gut, sogar ohne viel Training.
Meine armen Füsse haben sich lange nicht richtig erholt, und noch jetzt sind sie nicht so wie vorher. Von den tiefen Blasen habe ich Narben, was aber nicht das Problem ist. Eher sind es wohl feine Ermüdungsrisse in den kleinen Fussknochen, die mir noch etwas zu schaffen machen.
Doch inzwischen habe ich mich hier einer Wandergruppe angeschlossen, die so ca. alle zwei Sonntage ein paar Stunden unterwegs ist, ganz gemütlich und ohne zu forcieren. Das ist sehr gut und wunderbar, und die Leute sind sehr nett.
Was ich nicht vergessen will, ist ein wunderbarer Segeltörn von der Connel Bridge bis zum Anfang des Loch Etive, fast am Ben Nevis/Glen Coe, mit einer Freundin aus dem Bach Chor und ihrem Mann. Er hat das zweispitzige, doppelmastige Segelboot aus Holz selber entworfen und gebaut. Es war super! Hier Dave in voller Aktion -- da kam grad ziemlich viel Wind auf, und er musste das Vorsegel einholen.
Wie das Leben halt so ist, gibt es immer wieder Veränderungen. So ist Moira, eine meiner besten Oban-Freundinnen, vor einem guten Monat nach Newcastle-upon-Tyne gezogen, weit weg an der Ostküste von England. Sie fehlt mir sehr. Und die 86-jährige Mutter meiner besten Oban Freundin hatte vor einer guten Woche eine schlimme Herzattacke und liegt jetzt in Glasgow im Spital. Das beschäftigt mich, nicht nur, weil die Freundin jetzt natürlich völlig absorbiert ist, sondern auch, weil die liebenswürdigste, lebenslustigste aller alten Damen vielleicht halt doch nicht mehr lang zu leben hat. Ob sie wohl nochmals nach Oban zurück kommt? Die Familie ist optimistisch, und so bin ich es denn auch.
In Bern ist vor kurzem Käthi, eine meiner alten Freundinnen, gestorben, und es tat sehr weh, nicht beim letzten Abschied dabei zu sein.
Auch den 60. Geburtstag von Brigitte, einer sehr guten, alten Freundin, hätte ich gerne mitgefeiert.
Das ist der Preis des Exils. Doch mein Kreis hier ist angenehm und abwechslungsreich, und mein Leben privilegiert: Im Vergleich zu so vielen auf der Welt habe ich es sehr gut, ein warmes Dach über dem Kopf, immer gut und schön zu essen, und auch sonst alles, was es braucht. Ich bin sehr dankbar.
Bis bald wieder -- hoffentlich!
Alles Liebe.