Ich lebe mich langsam ein in Oban; was neu war wird “normal”, doch viel Routine habe ich noch nicht gespürt: an jeder Ecke gibts Neues, Überraschungen, Ungewöhnliches. Ich finde es total spannend, langsam unter die Oberfläche zu gelangen, zu sehen, was die Leute bewegt, die immer hier leben und nicht so leicht weggehen können, weil sie kein Geld haben.
So viele leben hier ganz knapp über der Armutsgrenze, so viele haben nur minimale Bildung, wenig Aussichten — und doch schaut der Staat ganz gut und gibt es viele Möglichkeiten, sich Unterstützung zu holen. Und weil so viele betroffen sind, scheint mir auch kein Stigma damit verbunden zu sein. Das heisst dann aber auch, dass sich die Leute einrichten in ihrer Situation, keinen grossen Ansporn haben, sich daraus wegzuhieven. Das jedenfalls ist mein erster Eindruck nach nunmehr sechs Wochen in einem Ortsteil am Rand des Städtchens, der genau an der Grenze zwischen eher wohlhabenden und eher unterprivilegierten Menschen liegt.
Zum Glück scheint meine Situation wenigstens zur Zeit sehr komfortabel zu sein: ich habe Arbeit in Hülle und Fülle, was heisst, dass ich die Umzugskosten usw. ganz gut habe wegstecken können. Darüber bin ich extrem froh, denn wer weiss, was die nächsten Jahre bringen. Doch mache ich mir darüber Gedanken, wenn es soweit ist. Wir wissen ja so wenig, schon die nächsten fünf Minuten liegen im Dunkel...
Viel Arbeit heisst aber auch, dass ich kaum dazu komme, meine Wohnung weiter einzurichten und alles fertig auszupacken. Es ist mir nicht sehr wohl dabei, aber hoffentlich geht es ab nächster Woche endlich wieder vorwärts, denn mein kleines Zimmer Südzimmer, das ich als Büro/Schlafzimmer benutzen will, sollte dann fertig werden. Morgen schleifen “mein” Handwerker Tom und ich den Parkettboden dort, der jetzt lückenlos ergänzt ist durch stilgerechte, neue Buchentäfelchen (Foto folgt). Natürlich heisst Schleifen viel Lärm und Staub, doch der nette Verkäufer im Eisenwarenladen hat mir die Staubmasken grad geschenkt, nachdem wir uns ein wenig über das Leben und die Welt unterhalten hatten. Hier nehmen sich die Leute gerne Zeit für einen Schwatz, das finde ich wunderbar.
Den geschliffenen Parkettboden will ich ölen; ich mag es nicht, wenn eine Lackschicht rumstinkt und das Holz am Atmen hindert. Daumen halten, dass alles klappt, denn am Donnerstag kommen definitiv die neuen Büchergestelle und ein Büromöbel auf Rollen, so dass ich meine Bücher fertig auspacken und den Arbeitsplatz einrichten kann.
Endlich habe ich mich auch für ein zweites Bett entschieden, so dass meine Wohnung hoffentlich bereit ist, wenn am 11.7. der erste Besuch, eine liebe Freundin aus der Schweiz, eintrifft. Darauf freue ich mich sehr; es wird spannend sein, mit ihr die Umgebung ein wenig ausführlicher zu erkunden.
Eine liebe Nachbarin hat mir den Gebrauch ihres Fahrrads zugesagt; das muss dann auch noch ein wenig auf Vorderfrau gebracht werden, sollte aber klappen.
Es ist sehr praktisch, hier ein Velo zu haben; ich jedenfalls bin extrem froh, dass ich meines mitgebracht habe. Langsam, langsam begreifen die Menschen auch hier, dass Schluss ist mit Autofahren für kurze und kürzeste Strecken. Der Preis für Benzin und Diesel ist ja so hoch, dass es wirklich durchschlägt aufs Budget, und so sieht man immer mehr Menschen auf dem Velo durchs Städtchen huschen.
Am eindrücklichsten sind für mich immer noch die FernstreckenradlerInnen. Letzten Mittwoch am frühen Nachmittag habe ich beim Coop unten in der Flussebene kurz mit einer jungen Frau aus Quebec City (Kanada) gesprochen, die zuerst quer durch Irland geradelt ist, dann per Fähre nach Islay (?). An dem Tag, als wir uns trafen, ist sie früh morgens per Fussgänger- und Velofähre von Islay nach Tayvallich übergesetzt und hat dann die rund 70 km lange Berg- und Talstrecke von dort unten bis hier nach Oban rauf zurück gelegt -- bei strömendem Regen, aber wenigstens fast ohne Wind. Sie war ganz durchnässt, sah aber strahlend gesund aus und voll "Pfupf".
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