Tuesday, 31 March 2009

Hans Fässlers Räuberhöhlengleichnis

Bild vom Web, 31.3.2009.
Liebe Alle

Gestern habe ich im BBC TV eine Sendung über das Schweizer Bankgeheimnis gesehen. Die Schweiz steht immer weiter im Regen draussen, und es wäre wirklich langsam Zeit, diesen alten Zopf abzuhacken. Das wird zwar einigen nicht gefallen, aber wollen wir wirklich einer der letzten Zufluchtsorte für Blutgeld sein?

Mit grimmigem Vergnügen schicke ich hier eine kleine Geschichte von Hans Fässler weiter -- ich habe ihn schon anderweitig erwähnt. Hans Fässler hat u.v.a. ein kluges Buch über die Verstrickung der Schweizer Industrie in die Sklaverei geschrieben. Ist auch sonst ein kluger Kopf, und ich würde liebend gerne sein Buch ins Englische übersetzen, wenn sich ein Verleger, eine Verlegerin fände...


Hans F. setzt seiner Geschichte folgende Einleitung voran:
"Habe mich von Platon (ca. 370 v.Chr.), Ziegler (1976 fff.) und Dürrenmatt (Rede auf Vaclav Havel, 1990) inspirieren lassen und dem St.Galler Tagblatt unten stehenden Leserbrief geschickt. Euch zur Ergötzung, zum Nachdenken, zur Kritik, zum Weiterverbreiten oder für den elektronischen Papierkorb.
Herzliche Grüsse in wilden Zeiten
Hans Fässler"


"Räuberhöhlengleichnis


"Indianer, Kavallerie, Nazis.... Als bekennender Peer-Steinbrück-Fan und als einer von denen, die seit einem Vierteljahrhundert vor den Gefahren des Finanzplatzes Schweiz warnen, ohne von bürgerlicher Seite je gehört worden zu sein, blase ich gerne auch noch ins metaphorische Feuerchen: Die Schweiz ist durch das Bankgeheimnis und durch das kapitalistische Finanz-Casino zu einer Räuberhöhle geworden, in der sich die Diener, die Sklaven und die Gefangenen der Räuber schon so an das Leben drinnen gewöhnt habe, dass sie sich eines ausserhalb der Höhle [...] gar nicht mehr vorstellen können. Und wenn von draussen Menschenlärm hereindringt, dann werfen sie sich den Räubern ängstlich an die Brust und schwören, mit ihnen zusammen die Höhle bis zum letzten zu verteidigen. Anstatt dass sie die Chance nutzen würden, den Räubern zu entkommen und sich endlich selber zu befreien."


Ich wünsche allen viel Mut zur Freiheit!

Und denkt trotz allem dran, auch mal die Blumen am Wegesrand mit Nase und/oder Auge zu geniessen. Hier eine aus meiner unmittelbaren Nachbarschaft, sozusagen frisch ab Presse (d.h. heute Nachmittag fotografiert). Wer sich da nicht im Tessin wähnt...

Monday, 16 March 2009

Ein Blick zurück: 75 Jahre Skiclub Boltigen

Meine Lieben

Eine meiner Cousinen 2. Grades -- unsere Grossmütter väterlicherseits waren Schwestern -- hat mir den Link zu einem Fotoalbum geschickt, das wunderbare Bilder des 75. Jubiläums des Skiclubs Boltigen enthält. Absolut sehenswert. Die Anachronismen allein sind ein Schmunzelfaktor, aber auch ein paar Fotos von offenbar und hoffentlich schmerz- und folgenlosen Stürzen.

Das Wetter war strahlend und der Schnee perfekt. Also: hier klicken und lachen, schmunzeln, staunen.

Herzlichen Dank, liebe Susanna und Theo (Fotograf)!

Friday, 13 March 2009

Gedanken zum Leben und Älterwerden, Singen und Gärtnern

Guten Tag

Hier kümmere ich mich u.a. mit viel Befriedigung um eine alte Dame, deren Angehörige eine halbe Tagesreise oder weiter entfernt leben. Sie ist fast 91-jährig und ihre alten FreundInnen sind halt auch nicht mehr im Stande, Hilfe zu leisten, wie sie es nötig hätte.

Jetzt ist sie ins Altersheim eingetreten und tut sich schwer damit. Ich kann ihr so gut nachfühlen und wünschte mir fast, ich hätte ein Haus mit dem Platz und der Infrastruktur, um mich selber ganz um sie zu kümmern. Doch das sind ja wohl Träume. Alleine käme ich ja auch nicht über die Runden, denn sie ist mehr und mehr verwirrt und verwechselt Tag und Nacht. Dazwischen aber hat sie lange, luzide Momente, und dann sind gute Gespräche noch möglich. Wie lange wohl noch? Sie ist sehr stark abgemagert in den letzten Monaten und hat die durchsichtige Haut der ganz alten Menschen. Ich habe sie sehr lieb gewonnen, seit ich sie letzten Juni zum ersten Mal gesehen habe.

Weiter erteile ich ein Mal pro Woche mit einer hiesigen Kollegin zusammen Englischunterricht für MigrantInnen (Teil eines Integrationsprogramms, das die lokale Behörde finanziert) für bis zu 15 Menschen aus fast allen Erdteilen und kulturellen Kontexten. Etwa halb und halb kommen sie aus dem europäischen Osten (Ungarn, Polen, Tschechien usw.) sowie aus Asien (Bangladesch, Thailand, China). Ab und zu schaut einE WesteuropäerIn herein. Die Leute sind vorwiegend in Hotels angestellt und arbeiten sehr unregelmässig. Der Unterricht richtet sich nach ihren Fähigkeiten, und wir teilen die Klasse meistens auf. Es ist spannend, aber auch anstrengend.

Im Garten fängt es jetzt auch wieder an, Spass zu machen. Ich habe gejätet und gestutzt. Und jenseits vom Maschendrahtzaun entsteht langsam, aber sicher ein Gemeinschaftsgarten. Letzten Sommer blühten dort alle Unkräuter, und die NachbarInnen haben jahrelang ihren Unrat dort entsorgt, mindestens den Grasschnitt, aber auch sonst viel Ghüder. Zudem bringen regelmässige Fluten auch ihre "Gaben". Vor knapp zwei Wochen haben wir zu fünft die Oberfläche von Plasticunrat und Glasscherben befreit. Jetzt ist einer meiner Nachbarn daran, etwas tiefer zu graben. Da das Geld nicht grad auf der Strasse liegt, wollen wir schon Mal ein paar Beete anlegen und wohl auch einen Kompost. Gemüse gibts in Anbetracht der Verunreinigungen im Boden wohl nicht sofort, aber für Blumen sollte es allemal reichen. Ich will Ringelblumen säen und Kapuzinerli.

Dann singe ich in zwei Chören mit. Im Mai führen wir im Oban Bach Choir den Elias von Mendelssohn auf. Und im Oktober solls mit dem Oban Gaelic Choir Preise regnen, wenn wir mit vielen anderen Chören um die Wette singen am Mod, dem grossen traditionellen Festival, das heuer in Oban stattfindet.

Der Frühling kommt auch langsam, und die Nächte sind schon ganz mild, so dass ich die Heizdecke weggesteckt und die Fenster offen habe. Im Garten blühen ein paar kleine Osterglocken und winzige blaue Hyazinthenglöckchen (sogenannte bluebells), nebst den Gänseblümchen im Rasen. Andernorts blühen die Rhododendren in aller Pracht, und gestern sind die ersten hellrosa Kirschen aufgeblüht. Diese Bäume sehen ganz festlich aus!

Monday, 9 March 2009

Tough love -- Harte Liebe?

Meine neue junge Nachbarin hat eine kleine Tochter, die sie alleine aufzieht. C. wurde letzten November 2-jährig, ist also noch sehr klein. Der Umzug hierher hat ihr zugesetzt: Plötzlich schläft sie nicht mehr mit ihrer Mama auf der Couch im Wohnzimmer der Grosseltern, sondern hat ein "Gefängnis" (ein Kinderbett mit Gitter ringsum) in einem für sie riesigen rosa Zimmer. Die Tür zur Wohnung ist zu.
Ist es überraschend, dass C. nicht gerne zu Bett geht? Sie hat jeden Abend Schreikrämpfe, die mindestens eine halbe Stunde andauern. Zudem erwacht sie mitten in der Nacht und ruft nach Ihrer Mama - zuerst sanft, aber bestimmt, dann immer mehr mit Panik in der Stimme. In letzter Zeit kommt Ärger und Zorn dazu.

Ich habe meine Nachbarin kurz darauf angesprochen und sie gefragt, was sie selber wahrnimmt. Sie meinte ganz offen, sie müsse ihre Tochter jetzt daran gewöhnen, dass Mama nicht mehr dauernd umewäg sei.

Ich fühle zutiefst mit: Genau so ist man mit mir seinerzeit im gleichen Alter verfahren, als meine Mutter mit meinem mittleren Bruder schwanger ging. Ich erinnere mich deutlich, was für Angst ich damals ausgestanden habe.

Heute ist mir klar, dass diese Mütter (und Väter) an ihren Grenzen waren und sind. Doch ein 2-1/4.-jähriges Kind versteht das nicht und nimmt bloss wahr, dass es von seiner Mutter/seinen Eltern im Stich gelassen wird. Lange weinen und schreien Lassen macht alles nur schlimmer und traumatisiert fürs Leben.

Zahlreiche meiner Freundinnen haben ihre kleinen Kinder anders behandelt, haben nächtelang ausgeharrt und Sicherheit gegeben, ihre Gegenwart fühlen lassen, ein Kind auch mal stundenlang umhergetragen. Denn unsere jahrtausendealte Geschichte ist eine Geschichte der Bewegung, und im Gehen Getragenwerden wohl das Beruhigendste, was einem Kind zuliebe getan werden kann. Es erinnert sich wohl auch an das Getragensein im Mutterbauch.