Thursday, 16 December 2010
In memoriam Ueli Berger – 1937 in Bern - 2008 in Ersigen/BE
Gestern war ein Tag, der Todesnachrichten ins Haus brachte.
Eine liebe Freundin hatte mir aus der Schweiz ein dickes Bücherpaket geschickt und Lücken mit Zeitungspapier gestopft.
So habe ich erfahren, dass Susi und Ueli Berger Ende November den grossen Schweizer Designpreis für ihr Lebenswerk erhalten haben, was mich natürlich überaus freut. Wer kennt nicht die Wolkenlampe oder das Endlos-Raupensofa, oder den Schubladenstapel als Möbel, die die beiden – vor allem Susi – "erfunden" haben?
(Beispiele davon sind hier zu finden:
http://www.roethlisberger.ch/english/produkte/_designer/designer_produkt.asp?ref_d=berger/faechermann)
Wie ich da reinpasse?
Auf Distanz und doch ganz intensiv: Vor Jahren schon kreuzten sich die Pfade, Bern ist ja eher klein. Unter anderem war ich im Rahmen eines vom Kunsthalleverein Bern organisierten Atelierbesuches mal bei ihm und Susi Berger in Ersigen und war tief beeindruckt von der Breite seines Schaffens, und von der Fantasie und dem Witz, der aus allen Arbeiten sprach.
Und 2007 beauftragte Ueli Berger mich mit der englischen Übersetzung von Katalog-Essais zur Ausstellung Alles in Allem – Arbeiten auf Papier 1967-2007 im Kunstmuseum Bern. Da habe ich Ueli und Susi bei einem langen Arbeitsgespräch etwas besser kennen gelernt.
Trotzdem entschloss ich mich 2008 zum Auswandern, und wir haben den Kontakt bis gestern verloren, was ich jetzt sehr bedauere.
Doch bei aller Trauer über den Tod dieses eigenwilligen, fantasievollen, hochbegabten Menschen überwiegt die Freude, dass ihm und Susi jüngst dieser grosse Designpreis – Grand Prix Design der Schweizerischen Eidgenossenschaft – zugesprochen worden ist.
Mehr darüber hier:
http://www.derbund.ch/kultur/diverses/Nicht-nur-beim-Lounging-waren-sie-der-Zeit-voraus-/story/24130282
und hier:
http://www.designsammlung.ch/Htmls/.../2010/.../TagesAnzeiger_29-11-2010.pdf
und hier:
http://www.hochparterre-schweiz.ch/presseschau/grand-prix-design-an-susi-und-ueli-berger.html
In memoriam Theo Hirsbrunner – 2.4.1931-6.11.2010
Gestern erst habe ich vom Tod des Vaters einer früheren Freundin erfahren.
Theo Hirsbrunner war aber weit mehr: Er war distanziert-väterlicher Freund und Auftraggeber fürs Transkribieren seiner in wunderschöner Handschrift verfassten Aufsätze über Musik. Jahrelang durfte ich diese Arbeit für ihn ausführen und habe unendlich viel über neuere Musik gelernt. Wenn auf BBC Radio Three, dem UK-Pendant zu Radio DRS2, Musik von Charles d'Indy oder Messiaen, von Boulez, Massenet oder Janacek erklingt, erinnere ich mich an nun schon vor einiger Zeit Getipptes und höre mit ganz anderen Ohren hin.
"Auf Schmalspur" war ich auch seine Sekretärin, jedenfalls wenn es darum ging, seine immer grösser werdende e-Mail-Korrespondenz zu erledigen.
Als ich im Mai 2008 nach Schottland zog, ahnte ich, dass wir uns nicht mehr oft sehen würden, und ich bin sehr froh, ihn bei einem meiner wenigen Schweiz-Besuche getroffen zu haben.
Meine Nachfolgerin Doris Moser und ich werden uns immer mit grosser Innigkeit an Theo erinnern, einen grossartigen, feinen Menschen und hochkarätigen Musikologen.
Meine Gedanken sind auch bei seiner Tochter Anna und seinem Sohn Simon mit Familie.
Theo Hirsbrunner, * 2. April 1931 in Thun; † 6. November 2010 in Bern.
Friday, 10 December 2010
Eine Friedensbotschaft
Ihr wisst, dass ich nicht religiös bin und keiner Kirche angehöre, doch Gesang verbindet Menschen auf der ganzen Welt, egal was für eine Haltung sie vertreten. Und so scheint mir dieses Video eines sogenannten Blitzchorauftritts in einem grossen Shopping-Center in New York genau das Richtige zur Festzeit.
Mit meinen Wünschen für friedliche Festtage und ein friedliches Neues Jahr.
M
Wednesday, 6 October 2010
10.11.2010, Kultur-Casino Bern: Frauen, Frieden und Sicherheit – 10 Jahre UNO-Sicherheitsratsresolution 1325: Chancen & Grenzen
Sehr geehrte Damen und Herren
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) und das Kompetenzzentrum Friedensförderung (KOFF) – swisspeace führen anlässlich des 10-jährigen Bestehens der UNO-Sicherheitsratsresolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit und zur Lancierung des revidierten Nationalen Aktionsplans zu 1325 eine Veranstaltung durch.
Chancen und Grenzen
Wir freuen uns, Sie hiermit offiziell zu dieser Veranstaltung einzuladen.
Detaillierte Angaben zum Anlass finden Sie im Programm auf http://www.eda.admin.ch/unresolution1325
Hier können sie sich ebenfalls on-line anmelden
Wir bitten Sie, die Einladung auch an weitere Interessierte zu senden.
Bei Anfragen wenden Sie sich bitte an Bettina Etter: pa4 AT eda.admin.ch
Wir würden uns freuen, Sie am 10. November begrüssen zu dürfen.
Freundliche Grüsse
EDA, VBS, KOFF
Saturday, 25 September 2010
"Look at those beautiful places out there"
Übrigens, als junge Frau bin ich in den späten 60er Jahren auch regelmässig zwischen Münsingen und Bern gependelt, und im Dachstock war ich etliche Male. Es ist meistens eher laut, aber friedlich. Und das Restaurant Sous le pont ist sehr zu empfehlen: gut, günstig, gemütlich!
Häbet Sorg!
Tuesday, 21 September 2010
Kolumbien: David Ravelo wegen Aussage eines Paramilitärs in Haft
"20.09.2010
Kolumbien: David Ravelo wegen Aussage eines Paramilitärs in Haft
Spezialagenten der kolumbianischen Staatsanwaltschaft verhafteten vergangenen Dienstag 14. September den Generalsekretär der in Barrancabermeja aktiven Menschenrechtsvereinigung CREDHOS David Ravelo Crespo. Der Haftbefehl wurde von der Antiterror-Einheit der Staatsanwaltschaft wegen Verschwörung und Totschlag ausgestellt. Die Anklage basiert einzig auf der Aussage des demobilisierten Paramilitärs Mario Jaimes Meijía, welcher Ravelo Verbindungen zur FARC-Guerilla und die Verwicklung in den Mord an einem Staatsangestellten von 1991 zur Last legt. Ravelo sass wegen Rebellion bereits von 1993 bis 1994 im Gefängnis. Nach knapp zwei Jahren wurde er aufgrund mangelnder Beweislage freigelassen. PBI fürchtet um die physische Integrität Ravelos, da [er] im selben Gefängnis sitzt wie Paramilitärs, die von CREDHOS der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden. PBI ruft die internationale Gemeinschaft auf, sich für die Wahrung der physischen Integrität des Angeklagten und für einen fairen Prozess einzusetzen.
Menschenrechtsanwälte befürchten ein Attentat
Auch andernorts ist erkennbar, dass die Arbeit von MenschenrechtsverteidigerInnen in Kolumbien auch nach der Amtseinführung des neuen Präsidenten Juan Manuel Santos Drohungen und Stigmatisierungen mit sich bringt. Das angesehene Anwaltskollektiv CCAJAR richtete am 10. September einen dringenden Brief an Santos, in welchem sie [ihrer Furcht über] ein bevorstehendes Attentat auf eines ihrer Mitglieder [Ausdruck] geben."
Wednesday, 15 September 2010
Swimming pool von oben, oder Das Einmaleins vom Abzocken
Am 26. September 2010 findet in der Schweiz eine wichtige Abstimmung über die Arbeitslosenversicherung statt. Hier eine Kurzlektion zum Thema:
Also, Leute, geht abstimmen.
Monday, 6 September 2010
Instantgeschichten am Literaturfest wortlaut
Das Buch mit den Instantgeschichten von Andrea Gerster, Lika Nüssli und Monika Slamanig ist da.
Es kostet Fr. 28.- und ist an unseren Lesungen oder beim Verlag Saiten zu kaufen.
Die Buchvernissage: am 18. September, 19.30 Uhr am Literaturfest wortlaut, Büro des Verlags Saiten, St.Gallen
Ausserdem: am 18. September Instantgeschichten für Kinder und Erwachsene (ab 8 Jahren)
Performance in der Freihandbibliothek St.Gallen um 16.30 h und 17.30 h.
http://www.wortlautsg.ch/
unter: Kinder- und Jugendmedien Ostschweiz und Kulturmagazin Saiten
Tuesday, 31 August 2010
Erinnerung an eine Sommerreise
Einige von Euch wissen, dass ich im Juli eine Monsterautofahrt in die Schweiz unternommen habe. Die Woche in Bern und Umgebung hat mir sehr gut getan. Erstens habe ich die lange Autofahrt genossen, trotz etwas Stress, ob ich auf dem Rückweg rechtzeitig in Calais eintreffen würde -- es ist doch eher weit. Aber alles hat bestens geklappt, trotz einmal Verfahren, was dazu führte, dass ich kaum Strassenzoll zahlen musste. So wurde die Reise eine Spur billiger und auch schneller. Doch war der Verkehr überaus dicht und das Vorbeifahren an den riesigen Lastern während ein paar intensiven Regengüssen war wie in der Autowaschanlage, bloss mit heftigem Seitenwind -- interessant! Zum Fotografieren bin ich unterwegs kaum gekommen.
Dann war es natürlich wunderbar, alte FreundInnen und meine Familie wieder mal zu sehen. Ich fühle mich auch beruhigt, was die Gesundheit meiner Mutter betrifft: Sie sah wesentlich besser aus, als ich erwartet hatte. Jetzt fliegen meine Eltern dann schon bald für vier Wochen auf die Kanarischen Inseln, und die Wärme und Sonne dort wird ihnen gut tun.
Auch sonst habe ich es sehr genossen, viele Leute zu sehen. Natürlich wäre das auf die Dauer kaum auszuhalten, aber so sechs Tage lang war es sehr schön.
Es war auch fein, endlich mal mit meiner alten England-Freundin Maggi in Südengland länger zu plaudern, zu sehen, wie und wo sie wohnt und lebt und arbeitet. Und festzustellen, dass es keine 30 Autominuten westlich von Heathrow wesentlich weniger unangenehm ist, als ich mir das vorgestellt hatte. Leider fliegen die Flieger genau dann über ihr Gärtchen, wenn das Wetter schön und stabil ist und zum Drausseinsein einlädt, aber über Taplow sind die Maschinen schon ziemlich hoch, so dass der Lärm einigermassen erträglich ist. Dort wohnen möchte ich trotzdem nicht, aber ich habe bei Maggi sehr viel besser geschlafen als hier in Oban.
Schlaflose Nächte hier in Oban haben allerdings bald ein Ende, denn Anfang November ziehe ich in ein kleines Haus in Kilmore, ein winziges Dörfchen ca. 10 Autominuten südlich von Oban auf dem Weg nach Kilmelford und Kilmartin. Das Haus liegt an einem Hang am Ende eines Privatsträsschens. Der "utility room", die grosse Wohnküche (mit grossen Fenstern und direktem Ausgang auf die Holzterrasse und in den Garten) und die zwei kleineren Schlafzimmer haben Südsicht; das grössere Schlafzimmer mit eigener Dusche mit WC/Lavabo, das Bad, das Wohn- und Studierzimmer blicken gegen Norden. Anders rum wäre mir eigentlich lieber, aber so bauten sie hier halt in den 60er/70er Jahren. Ungefähr so alt ist das Haus.
Es gehört einer Bekannten aus dem hiesigen Book Club. Sie ist Spitalapothekerin und hat inzwischen in Inverness Arbeit auf ihrem Gebiet gefunden; ihr Mann arbeitet schon seit ein paar Jahren dort. Das Haus hier wollen sie nicht verkaufen; ich werde also wieder Mieterin. Und jetzt bin ich am Suchen eineR MieterIn für meine Wohnung, denn verkaufen will ich im Moment nicht. Haltet mir die Daumen, bitte.
Zum Glück habe ich immer viel zu tun. Morgen Abend singe ich mit drei Freundinnen und einer Amateur-Swing Band ein Lied aus den frühen 60er Jahren (Blame it on the Bossa Nova –
http://www.youtube.com/watch?v=EGePPsXaX8g) -- das wird spassig! Zudem kommt in ca 3 Wochen der alte Tom, der mir vor zwei Jahren bei der Wohnungsrenovation geholfen hat. Er wird meine 7 hässlichen Tannnenholztürrahmen weiss malen, was die ganze Wohnung optisch heller und grösser erscheinen lassen wird. Die Türblätter hat er ja schon vor zwei Jahren weiss gemalt, was schon viel ausgemacht hat.
Friday, 20 August 2010
Für einmal eine ganz gute Nachricht aus Myanmar (früher Burma)
Soeben habe ich eine wunderschöne Nachricht erhalten von jemandem, den ich noch gar nie gesehen habe, aber dessen Idee und Leben mich tief beeindrucken. Ihr habt schon von ihm gehört, Toni Rüttimann, auch bekannt als "Toni El Suizo". Er hat in Lateinamerika Brücken aus "Resten" gebaut und ist seit einiger Zeit in Südostasien dran, das Modell zu replizieren. Mit grossem Erfolg.
Doch lest selber, was Toni heute schreibt:
Die Erlaubnis
Yangon, Myanmar, 20. August, 2010
Niemand gab mir grosse Hoffnung: Weder Diplomaten, noch Leute von den Vereinten Nationen, noch Geschäftsmänner, und auch so manche Meldungen in den internationalen Medien nicht.
"Toni, du kannst nicht einfach nach Myanmar hineinlaufen mit einem 'Hallo, ich baue Brücken für die Armen', und meinen, die Regierung werde die Tür für dich öffnen."
Dennoch, genau so geschah es.
Ich übergab in Yangon meinen Brief und die Brückenbilder einem Mitglied der Regierung und vier Tage darauf erhielt ich die Genehmigung aus der Hauptstadt Nay Pyi Taw, die 320 Kilometer weiter nördlich liegt. Vier Tage. Wovon zwei ein Wochenende waren.
Zuoberst, sagte man mir, blieb nur noch eine einzige Frage nach Begutachtung des Dokuments:
"Und dieser Brückenbauer, ist er Teil einer Organisation?"
"Nein, Sir, ist er nicht." Der präsentierende General hatte den Hintergrund prüfen lassen.
"Dann ist es in Ordnung."
Ein schönes Leben
In der heutigen Welt scheint es schwer zu glauben, dass einer einfach durchs Leben gehen kann als Brückenbauer mit den Menschen, ohne Haus und Adresse, ohne Businessplan und Zugehörigkeit zu einer Organisation.
Aber im Falle von Myanmar könnte dies erklären, wieso sich die Tür sofort öffnete.
Das erste Treffen mit dem Vize-Minister, dem ich rapportiere, dauerte nicht die üblichen 10 Minuten sondern eine Stunde. Er stellte Fragen und hörte aufmerksam zu, wie es war, in Kambodscha zu arbeiten, in Vietnam, in Laos, ob und auf welche Weise mir deren Regierung geholfen hatte, und was ich von der Regierung Myanmar's brauchen werde. Dann sagte er:
"Schauen Sie, Toni, ich bin ein Soldat, geboren im Kachin Staat, von wo aus ich durch die ganze Union gezogen bin. Ich kenne das Leben auf dem Lande, und weiss, wie hart es ist für die Bauern. Sie sagen nun, dass Sie den Bauern seit Ihrem 19. Lebensjahr helfen. Und gratis."
Er blickte mir gerade in die Augen, "Sagen Sie mir, wirklich: Warum tun Sie das?"
"Aus drei Gründen, Sir", sagte ich langsam.
"Erstens, weil ich das Leiden der Leute hinter den Flüssen sehe, und weiss, wie wir es lindern können. Zweitens, weil ich zum Brückenbauer geboren wurde. Ich schaue zurück und erkenne den Weg. Drittens, und am wichtigsten, weil ich es wirklich tun will. Jeden Tag. Denn auch wenn man weiss wie, und auch wenn es in seinem Schicksal steht, wenn man es nicht tun will, passiert gar nichts."
Der Vize-Minister schaute seine Hände auf dem Tisch an. Eine Minute völliger Stille an einem grossen Sitzungstisch ist eine lange Zeit für all die anderen Anwesenden.
Schliesslich schaute er auf, und sagte ernst, aber herzlich:
"Sie haben ein sehr schönes Leben, Toni. Ich wünschte, ich könnte dies in meinem Leben tun. Bitte sagen Sie uns, was wir tun können, um Ihnen zu helfen. Sagen Sie es uns wirklich."
Das Resultat
Heute, 20 Monate danach, sind 25 Brücken fertiggestellt und 12 weitere im Bau, für insgesamt rund 300'000 burmesische Bauern in diesem weiten Land. 300'000 Menschen. So hoch ist die Bevölkerungsdichte hier und so hoch die Nützlichkeit der Brücken.
Die Behörden von Myanmar haben sofort geholfen mit Importerlaubnissen für die 28 Schiffscontainer mit Stahl und Seilen aus Argentinien, Brasilien, Italien, der Türkei und der Schweiz, sowie für einen alten Kranlastwagen aus Thailand. Sie leihen uns einen sicheren Lager- und Schweissplatz in einer staatlichen Werft in Yangon. Und von dort unterstützen sie uns mit Langstreckentransporten ins ganze Land mit Lastwagen, Boot und Eisenbahn.
Uns bleiben hier noch weitere 370 Tonnen an Material für weitere 30 Brücken oder so. Wenn all dies eingesetzt ist, kann es durchaus bedeuten, dass eine halbe Million Burmesen dann eine Brücke über ihre Wasser haben.
Der Gedanke bringt mich zum Staunen. Wie einfach wäre es gewesen, es nicht zu versuchen, nicht zu hoffen, nicht den ersten Schritt und dann all die folgenden zu tun.
Gut habe ich's versucht.
Toni El Suizo, Brückenbauer
MPJ's PS: Leider ist es mir nicht gelungen, Tonis schöne Fotos aus Myanmar hierhin zu transferieren. Und eine Website hat der Weltenbummler auch nicht. Aber es gibt natürlich viele andere Fans von Toni. Swissinfo hat eine Seite über ihn und auch auf Wikipedia finden sich Informationen über Toni.
Saturday, 12 June 2010
Entgleister Zug bei Cruachan Kraftwerk vom Gleis gehievt
Es hat so lange gedauert, weil zuerst die Strasse, die an der Stelle als Lehnenviadukt ausgebaut ist, für das unerwartet hohe Gewicht verstärkt werden musste. Zudem musste der schwere Kranwagen von Glasgow heraufgebracht werden, da in Oban kein solches Fahrzeug deponiert ist.
Die Strasse dürfte bald wieder für den Verkehr geöffnet werden. Wann das Bahntrassee geöffnet wird, steht noch nicht fest.
Mehr auch hier:
http://news.bbc.co.uk/1/hi/scotland/8736322.stm
und hier:
http://forargyll.com/2010/06/a85-closure-scotrail-to-run-oban-taynuilt-minibus-from-11th-june/
Wednesday, 9 June 2010
25 Monate in Oban...
Zur Zeit sind mein jüngster Bruder und meine Schwägerin hier zu Besuch. Ich geniesse es sehr und habe den Eindruck, es gefällt ihnen hier. Es ist das erste Mal, dass wir mehr als ein paar Stunden zusammen verbringen, seit Rolf und ich Teenager waren. Spannend!
Die beiden haben bis jetzt überaus grosses Wetterglück. Gestern Abend waren wir im Waypoint Bar and Grill, dem kleinen Restaurant in der Oban Marina an der Nordspitze der Insel Kerrera zum Nachtessen. Da hatten wir zum ersten Mal etwas Regen, aber ganz sanft und fein -- wir wurden kaum nass, und Judith sah auf dem Nachhauseweg ihren ersten 1/8 Regenbogen (sie meinte, es sei ja hier gar nicht schottisches Wetter; ihre Freunde, zur Zeit auf Sardinien, hätten mehr Regen als wir hier).
Heute Vormittag hats wieder ein wenig geregnet; die beiden sind im Städtchen. Morgen reisen sie via Mull nach Iona , wo sie vor allem die Iona Abbey besuchen wollen. Der Wetterbericht ist wieder sehr gut, und bereits sind die Wolken viel heller. Am Nachmittag werden wir wohl Sonne haben. Ich bin heute zuhause angebunden, da am Nachmittag wie jeden Mittwoch zwei Privatschülerinnen hierher kommen. Ist schon ok, und bringt ja auch ein wenig Geld.
Gestern/Heute feiere ich 25 Monate Oban -- die Zeit ist irre schnell vorbei gegangen, wirklich wie im Flug, auch wenn das ein Cliché ist. Meine Nachbarn haben dazu gelernt und sind sehr viel rücksichtsvoller geworden – so kann ich viele Stunden wirkliche Stille geniessen, ohne weit reisen zu müssen.
Ich geniesse es immer noch und immer wieder, hier zu leben, wenn ich auch ab und zu Familienangehörige und alte FreundInnen vermisse. Ich will es einrichten, Euch bald einmal zu besuchen.
Und falls Ihr von einem Zugunglück zwischen Glasgow und Oban gehört habt: Ja, letzten Sonntag ist wegen Steinschlag der Abendzug von Glasgow nach Oban entgleist, ganz in der Nähe des Cruachan Kraftwerks, das wir ja besucht haben. Der vordere Wagen hängt noch schräg übers Bord hinaus und könnte auf die Strasse darunter fallen, vielleicht sogar ins Loch Awe. Deshalb ist auch die Strasse gesperrt. Es herrscht, soviel ich weiss, immer noch grosses Köpfekratzen, weil in Oban kein Kranwagen steht und alles von Glasgow her eingefahren werden muss. Der hintere Wagen hält den entgleisten vorderen Wagen bisher an Ort; es wird also ziemlich kompliziert.
Hier findet Ihr allenfalls mehr und sehr aktuelle Informationen, halt nur auf Englisch:
http://en.wikipedia.org/wiki/Falls_of_Cruachan_derailment
und hier ein erstes Video:
Die Passagiere im entgleisten Wagen müssen schreckliche Minuten erlebt haben, und alle wurden geschreckt, als beide Wagen Feuer fingen. Es scheint aber, dass diese Brände schnell gelöscht wurden. Eine meiner Bekannten war im vorderen Wagen und trug Schürfungen und zerschlagene Lippen davon; sonst ist sie wohlauf, obschon ihr der Schreck noch heute in den Gliedern steckt.
Oban war die ganze Nacht von Sonntag auf Montag von Lärm erfüllt: Helikopter, Feuerwehr, Ambulanzen... Ich dachte mir schon, dass etwas Schlimmes passiert sei, aber eine Entgleisung kam mir nicht in den Sinn.
Von hier aus ist die Auswirkung deutlich spürbar, im Sinne von sehr viel weniger Verkehr. Das tut der Touristenseite nicht besonders gut... Wir können nur hoffen, dass die Eisenbahngesellschaft die Sicherungsvorkehrungen an der von Steinschlag gefährdeten Flanke des Ben Cruachan bald verbessert!
Soviel für heute. Um die Wirtschaft ein wenig anzukurbeln will ich jetzt einkaufen gehen. Inzwischen scheint hier wieder die Sonne und ist es deutlich wärmer als am Morgen.
Häbets guet und tragt Euch Sorge!
Friday, 4 June 2010
Wie wärs mit etwas abgespeckter Polizei?
Heute hat mir eine Freundin ein Video geschickt, das ich niemandem vorenthalten möchte. Viel Vergnügen, Ladies:
Saturday, 22 May 2010
Der erste richtige Sommertag
Mich verschlugs am frühen Morgen an den Hafen von Oban, der unter einer dicken Nebelschicht lag.






Thursday, 13 May 2010
Greenpeace – JugendSolarProjekt in Melchnau: Offene Türen 19.-30. Mai 2010
Heute möchte ich auf ein aufregendes Projekt hinweisen, das Ende Mai die Türen öffnet:
"Das JugendSolarProjekt (JSP) von Greenpeace ist stolz, sein grösstes Solarenergie-Projekt vorzustellen. In Melchnau BE montierten Lernende aus der ganzen Schweiz während zwei Wochen auf einer Fläche von 1'885 m2 die grösste gebäudeintegrierte Photovoltaik-Anlage der Schweiz.
Das Projekt ist ein Wegweiser in die Zukunft der Energieversorgung. Ein Dach dient nicht mehr nur dem Schutz vor dem Wetter, sondern ist zugleich ein Kraftwerk, das weitaus mehr Energie produziert, als das Gebäude selbst benötigt: Die Photovoltaik-Anlage in Melchnau wird den Strombedarf von 65 Haushalten decken.
Eine Studie von Swissolar zeigt, dass allein durch die konsequente Nutzung geeigneter Dachflächen ein Drittel des Schweizer Strombedarfs durch Solarenergie gedeckt werden kann. Die Umstellung auf erneuerbare Energien ist keine Frage der technischen Umsetzbarkeit. Es mangelt an der politischen Bereitschaft, den Produzenten klimaschädigender Energie die Stirn zu bieten.
Dafür steht Greenpeace mit seinem JugendSolarProjekt. Die Zeit ist reif. Die Technologie steht bereit. Die Schweiz kann sich die Investition in eine nachhaltige Energiewirtschaft leisten. Kämpfen Sie mit uns für eine sonnige Zukunft, indem Sie unsere Arbeit und die Energierevolution unterstützen.
Lernen Sie das JugendSolarProjekt und die PV-Anlage in Melchnau an den Tagen der offenen Tür vom 29. - 30. Mai kennen."
Ein super Projekt, da wird so viel Wissen und Können an junge Menschen vermittelt.
Tuesday, 11 May 2010
Kunst zum Sattwerden in der Kunsthalle Bern
Die Kunstvermittlerin der Kunsthalle Bern hat folgende Einladung verschickt, die ich gerne auch hier wiedergebe – viel Vergnügen und "e Guete".
Liebe Kunstinteressierte
[Hier finden Sie] die Information zur neuen Ausstellung Animism in der Kunsthalle Bern.
[Die Agenda enthält] alle Daten der Kunstvermittlung.
Gerne möchte ich Sie auch auf unsere beliebte Mittagsveranstaltung Kunst zum Sattwerden aufmerksam machen. Am 18.5. & 13.07. jeweils von 12.30-13.30 Uhr.
Anmeldung spätestens bis zum Vortag um 17 Uhr unter i.schweinlin AT kunsthalle-bern.ch
[MPJ schreibt: Bitte in der e-Mail-Adresse " AT " durch "@" ersetzen -- dies ist meine Methode, Frau Schweinlins In-Box vor Spam zu schützen.]
Falls Sie Vegetarier sind, so teilen Sie es uns bitte mit, damit wir dementsprechend kochen können.
Ich freue mich auf Ihren Besuch!
Ines Schweinlin
Ines Schweinlin
Kunstvermittlung
Kunsthalle Bern
Helvetiaplatz 1
CH-3005 Bern
Tel: +41 (0)31 350 00 40 – i.schweinlin AT kunsthalle-bern.ch
Monday, 10 May 2010
Frühling in Oban, 2
Heute war wieder einmal strahlendes Wetter, zwar nicht besonders warm, aber immerhin. Hier die zur Zeit blühenden Blumen in meinem Blumenbandeli am Fuss des Hauses – Südseite:
Fangen wir an mit der Überraschung – eine gelbe Mohnblume, die sich selber hier eingerichtet hat:





Wednesday, 5 May 2010
Frühling in Oban

Meine Liebe, mein Lieber
Bei Euch in der Schweiz regnets? Hier kämpft sich die Sonne halbwegs durch die dicken Wolken -- der Himmel ist still, weil der Flugverkehr wieder Mal lahmgelegt ist, Islands Vulkan sei Dank. Wobei hier die Luftruhe nur ganz selten vom Wasserflugzeug oder von einem Rettungsheli "gestört" wird. Das Wasserflugzeug verbindet das Stadtzentrum von Glasgow mit dem Hafen von Oban, unter anderem. Jede Wasserung, jeder Start ist immer noch eine kleine Sensation.
Was ich zur Zeit durchs offene Fenster höre ist das Schlagen eines Amsels, das Rauschen des Baches am Ende des Gartens, irgendeine Maschine wie ein Staubsauger, ab und zu die Stimme eines Kindes, das Schmettern eines Buchfinks, der klagende Schrei einer Möwe oder drei oder fünf, und ganz weit weg etwas Strassenverkehr.
Die Bäume stehen in vielen verschiedenen Tönungen von hellem Grün; hie und da lugt ein hellrosa Kirschbaum neben dunkelgrünen Koniferen hervor. Überall blühen die wilden Kirschbäume.
Noch steigt aus einem Kamin ein feiner Rauch, da die Nächte doch manchmal noch ganz empfindlich kühl sind.
Doch friedlich ists und frühlingshaft, und meine Blümchen florieren – nur schade, dass Fotos (noch) nicht mit Duft verschickt werden können.
Monday, 26 April 2010
Politische Mittel zur gewaltfreien Konfliktbearbeitung
vom 11.-15. Juli 2010
Konzeptionelle Leitfrage: "Welches sind angemessene politische Mittel vor, während und nach gewaltsam ausgetragenen Konflikten, um diese gewaltfrei und nachhaltig zu bearbeiten?"
Vorträge jeweils 09.00 bis 12.30 Uhr; Nachmittags Workshops.
Für weitere Informationen bitte hier clicken: www.iicp.ch
Thursday, 25 February 2010
Schnee in Schottland
An der Ostküste von Aberdeen nordwärts ist es wesentlich dramatischer als hier an der Westküste, doch auch hier sind etliche Strassen geschlossen und wurden viele Abendveranstaltungen heute annulliert, weil die Leute nicht gerne ausfahren -- denn hier haben die wenigsten Autos Winterpneus!
Schlimm, dass auch heute wieder 2 Menschen in einer Lawine in der Nähe von Glen Coe ums Leben gekommen sind.
PS: Schottland erlebt den härtesten Winter seit ca. 1916.
Friday, 19 February 2010
Zur Zeit arbeite ich für einen Kindheitsfreund, der sich in der Schweiz als Dokumentarfilmer einen Namen gemacht hat. Seit einem guten Jahr ist er nun in Schanghai und kreiert dort spannende Projekte zum Thema internationales Netzwerken, Telekonferenzen usw.
Und da sind wir denn ins Filosofieren geraten über Schreiben, Lesen, Interpretieren, Übersetzen, besonders von Texten, die nicht von MuttersprachlerInnen verfasst wurden. Missverständnisse lauern an allen Ecken und Enden, denn Kommunikation über Grenzen, seien es soziale, chronologische, geographische... ist immer überaus anspruchsvoll.
Selber muss ich mich immer wieder zügeln, weil ich gerade hier oft zu rasch hineinschiesse und merke, dass mein schnelles Maul meinem Hirn nicht Zeit liess, alle Nuancen auszuloten. Die Menschen hier sind sehr vorsichtig mit allem, was sie sagen. Manchmal zum Verrücktwerden, aber geschichtlich verständlich: Jeder kennt jede, viele sind miteinander verwandt. Wenn da immer gleich hart die Wahrheit gesagt würde, gäbs Mord und Totschlag. Und die Leute haben ein elefantöses Gedächtnis. Wie in der Schweiz werden auch hier Gedächtnisfeiern an mittelalterliche Schlachten und Ungerechtigkeiten "gefeiert" -- da sind die Schotten und die Schweizer einander sehr ähnlich. Überhaupt kommt mir hier immer wieder das Emmental in den Sinn...
Hier ist heute strahlend schön, und eiskalt. Doch das Biecht ist bereits von den besonnten Ästen geschmolzen, und nur noch ab und zu fällt ein Glitzertröpfchen wie ein Diamant zu Boden.


Sunday, 14 February 2010
Valentinslied in vielen Sprachen
Quelle: Der Evergreen "Liebeslied" von der aktuellen DVD "Achillesverse - live in Berlin" - www.bodowartke.de
Friday, 12 February 2010
Die Schweiz und die Sklaverei, die Schweiz und der Rassismus
Heute habe ich einen Link auf eine SF DRS-Sendung erhalten, den ich Euch nicht vorenthalten will. Es geht um das Agassizhorn im Berner Oberland, den Nachbarn des Schreckhorn. Es ist nach Louis Agassiz benannt, der im 19. Jahrhundert zuerst in der Westschweiz lebte und lehrte und sich da einen Namen machte als Glaziologe und Bergforscher. Später übersiedelte er in die USA, wo er auf aus heutiger Sicht hirnrissige Ideen zur Rassenfrage kam und sich ganz einem hässlichen Rassismus verschrieb, der Menschen mit heller Haut automatisch an die Spitze, Menschen mit dunkler Haut aber ebenso automatisch auf die unterste Stufe menschlicher Evolution setzte.
Der Autor Hans Fässler und die schweizerisch-haitianische Künstlerin Sasha Huber wollen eine Umbenennung des Agassizhorns in Rentyhorn, nach einem haitianischen Sklaven. Sie hat in einer Kunstaktion ein Gipfelschild eingeschlagen (das sie danach wieder mit ins Unterland nehmen musste). Sasha Huber macht ein Buch über ihr Rentyhorn-Projekt. Es soll anlässlich einer Vernissage Ende Mai in Helsinki vorgestellt werden, wo das Museum für Gegenwartskunst Kiasma das Werk "Rentyhorn" erworben hat und ab dem 25. März 2010 ausstellt.
Wer sich mit der Idee anfreunden kann, dass kein Schweizer Gipfel als Denkmal für Rassisten hergeben soll, darf hier seinen Namen unter die von Sasha Huber initiierte Petition setzen.
Tuesday, 19 January 2010
Irmtraud Morgner in Bern, 19. Januar 1988
Falls jemand Einwände hat gegen die Wiedergabe dieses Textes, bitte setzen Sie sich mit mir via Kommentar in Verbindung.
Ich freue mich auch auf Rückmeldungen betreffend Passagen, die ich nicht oder nicht richtig gehört habe.
Transkript Lesung Irmtraud Morgner, Uni Bern, 19.1.1988
Einführung von Prof. Peter Rusterholz
Rusterholz:
Ich freue mich, dass Sie sich ermannt oder erweibt haben, wie Frau Morgner auch schon gesagt hat. Für manchen dürfte Frau Morgner - auch für manche - keine Unbekannte sein. Einige von Ihnen, das weiss ich mit Sicherheit, haben sie in Solothurn schon gesehen; 1984 haben Sie sie gehört und seither das Bedürfnis, sie wieder zu sehen und zu hören. Es war dies offensichtlich ein literarisches Ereignis im besten Sinne des Wortes, eine Begegnung zwischen Autorin, Text, Hörerinnen und Hörern, die sich auf Alle betreffende, auch gute Lebens- und Überlebensfragen bezogen haben. Diese Begegnung ist dokumentiert in einem Bändchen[1], das Irmtraud Morgner mit Entsetzen von sich weist, weil einige Fehler des Gespräches darin überliefert sind. Die Texte, die von ihr selber sind, und die Texte, die von Frau Pedretti kritisch gelesen wurden, können aber gleichwohl zur Lektüre empfohlen werden. Jedenfalls haben Sie Leseproben. Wenn Sie die Romane lesen, ist das ganz sicher noch besser, die Hexenromane. -
Sie dürfen ja, wie Sie wissen, Frau Morgner ohne Scheu als Hexe bezeichnen [Gelächter], als Hexe, die Hexenromane schreibt [Gelächter]. Der Name des weiblichen Ketzers ist Hexe, und [Gelächter] der Hexer ist letzten Endes ein Mensch, der das Mögliche von Übermorgen bedenkt. Und insofern wäre die Hexe also positiv gerettet. [Gelächter] Damit sind sind Hexen und Ketzer die lebens- ja die überlebensnotwendigsten Leute. -
Frau Morgners Schreiben entwickelt solche Energien des Lebens und Überlebens, und das gehört zum Faszinierendsten der Erfahrungen beim Lesen ihrer Texte: der Humor. Dem Hexenroman Amanda[2] ist ja als Motto beigegeben der Satz E.T.A. Hoffmanns, "Das Lachen ist nur der Schmerzenslaut der Sehnsucht nach der Heimat, die im Innern sich regt." Diese Art und Weise der Verbindung von Lachen und Schmerz, von Scherz und Ernst ist das, was mich an Frau Morgners Texten immer wieder fasziniert hat. Und ich meine, es sei auch der Grund, weshalb wir bei Ihnen weder süssen noch sauren Kitsch finden, weder heile Welt noch klischierte Beschwörungen des Weltuntergangs, des Abgrunds, des Entsetzens - sei dies nun der Abgrund des gegenwärtigen Weltzustandes, oder sei dies ein alltäglicher Abgrund aus den Greuelszenen der patriarchalischen Kleinfamilie [Gelächter]. Ein Zweites, das mich fasziniert, die Verbindung der engsten mit den weitesten Horizonten, die Verbindung von Alltag und Weltgeschichte, von Mittelalter und Gegenwart. Beide werden mit einem Humor verbunden, der von den täglichen Kartoffeln bis zu den Sternen reicht.
Damit ist es aber höchste Zeit, dass Sie Frau Morgner hören. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind. [Kein Applaus.]
Irmtraud Morgner:
Also, ich stehe zum ersten Mal, ich sitze nicht, das heisst, hier wird verlangt, dass ich stehe. Bloss gut, dass ich einen Text mithabe, der - [Einwurf Rusterholz: Wir können das [Lesepult] auch wegräumen, wenn Sie lieber so sitzen.]
Also, das ist nun mal so passiert. Mal was Neues. Mal sehen, ob ich das so lange aushalte. - Ja. - Also:
Liebe Berner Universität, natürlich.
Ich habe gehört, dass, als ich neulich irgendwann mal in Solothurn gelesen habe, da hat es einige gegeben, die da, von Ihnen, die da dort waren, und ich wäre ja furchtbar hier in die Fettnäpfe getreten, wenn ich den gleichen Text hier jetzt noch mal - so dass ich also - SBB macht es einfach möglich, da hin und her zu fahren, also ich habe einen Nagelneuen mit, aber bitte seien Sie so lieb und fahren Sie nicht nach Zürich - [Gelächter] - denn da muss ich auch noch lesen.
Es gibt in einem Buch nicht so sehr viele Texte, eigentlich ganz wenige, die man vorlesen kann - eigentlich eignet sich überhaupt ein Buch nicht zum Vorlesen, es hat sich so eingebürgert, und es sind nicht die besten Sitten, aber das ist einfach so, dem kann man sich nicht entziehen, den Sitten, das wissen Sie ja. Und - also - ich erlaube mir, wie gesagt, in Zürich - dies ist ein nagelneuer Text - aber in Zürich nochmals den gleichen zu lesen. Und denke mir, der Thomas Mann hat lebenslänglich bloss Mario und der Zauberer gelesen [Gelächter]. Natürlich bin ich nicht Thomas Mann, aber ich erlaube mir also, das so zu machen. Ja und das - mit dem Inhalt hat es vielleicht eben, dass ich mal stehe. Wenn mir die Beine wehtun, dann setz ich mich.
Ich lese also aus einem Buch, welches heisst:
Die cherubinischen Wandersfrauen. Ein Apokryphosalmanroman.
Die Sache mit dem dritten Band - wer kann denn in diesen undurchsichtigen Zeiten, wo kein Mensch weiss, wo, wie, oder was, und ob wir überhaupt, Punkte machen. Und der dritte Band wäre ja, dass ich einen Punkt machen müsste, und das ist schlechterdings nicht zu machen. Ich muss mal in der Zwischenzeit etwas Apokryphes schreiben.
Und jetzt muss ich noch was sagen, also die natürlich, die das also wissen, denen möchte ich nicht auf die Füsse treten, aber es könnte ja auch jemand sein, die sagen, ist ja unerhört, was sie da voraussetzt, dass man etwas aus der griechischen Mythologie so wissen muss, und also, Gebildete natürlich ganz weghören und mir das verzeihen: Es gibt da eine Anspielung auf Hero und Leander. Hero ist in der griechischen Sage eine Priesterin der Aphrodite, die befindet sich auf dem europäischen Ufer des Hellespont. Ihr Geliebter, Leander, gegenüber auf dem anderen Ufer, schwamm nächtlich zu Hero durchs Meer und ertrank, als die von Hero ihm als Wegweiser aufgestellte Lampe im Sturm erlosch. Hero stürzte sich darauf vom Tor. Also, das nur in Klammern, und für die, die es wissen, natürlich 'ne Zumutung - verzeihen Sie mir.
Ich sage von dem Buch nur den ersten Satz, und dann geht der Text los. Die Einleitung, damit Sie ungefähr - also - mit den cherubinischen Wandersfrauen - bin ich laut genug? - [nein] aha, also schreien.
Das Buch Die cherubinischen Wandersfrauen wird wahrscheinlich so anheben, wahrscheinlich:
"Als Hero fünfzig Jahre alt war, ging sie nach Paris und schnitt sich einen Mann aus den Rippen. [Gelächter] Die Massenmedien stürzten sich auf das Ereignis. Dem kapitalistischen Lager Verpflichtete schlachteten es aus und fertig. Dem sozialistischen Lager Verpflichtete pochten auf die Klärung des Sachverhalts. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, haben aber inzwischen eindeutig ergeben, dass das Ergebnis veraltet ist, der Deponie des Vergessens überantwortet."
Und jetzt der Text, denk ich, also für eine Universität, der Text heisst:
Das Heroische Testament. Auszüge aus apokryphen Promotionsunterlagen.
Dokument 1:
Antrag auf Eröffnung eines Promotionsverfahrens.
Da Unterhaltung eine Wissenschaft für sich ist, wenn sie die Massen ergreifen soll in Richtung - und jegliche Richtung solcherart als Ideologie resp. Philosophie beschrieben steht - beantrage ich hiermit bei der Generaldirektion für Unterhaltungskunst ein Promotionsverfahren zur Erlangung des akademischen Grades "Doktor eines Wissenschaftszweiges (Promotion A: Dr. phil.)". Denn natürlich ist gelebte Philosophie eine Magd der Ideologie. Aber es macht nach Kant, Immanuel, einen Unterschied, ob diese ihrer gnädigen Frau die Fackel voranträgt oder die Schleppe nach.
Als Fackelträgerin zunächst bei VEB Zentralzirkus und dann bei der Konzert- und Gastspieldirektion, hatte ich Gelegenheit, mehr als zwei Jahrzehnte lang auf meinem Wissenschaftsgebiet tätig zu sein. Deshalb würde meine Arbeit gewiss auch den Qualifikationsforderungen genügen, die an eine Promotion B zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der WissenschaftEN (vormals Habilitation) zu stellen wären. Aber eine Promotion A erscheint mir ausreichend, zweckdienlich. Meine Überzeugung: Ein höherer Zweck heiligt selbst wissenschaftliche Mittel.
Deshalb bitte ich um rasche Einleitung beziehungsweise Abwicklung der [Zulassung?].
Mit sozialistischem Gruss
Herta Kowaltschik (Hero)
Anlage:
• 4 Exemplare der Arbeit (Fotoform)
• 6 Exemplare Thesen
• Befürwortung
• Lebenslauf
• Übersicht der von der Kandidatin bisher erzielten philosophischen Ergebnisse
• Gesellschaftliche Beurteilungen
• Polizeiliches Führungszeugnis
• Nachweis über die erforderlichen marxistisch-leninistischen Kenntnisse
• Belege über die Fremdsprachenkenntnisse
• Quittungen über die entrichteten Promotionsgebühren in Höhe von 200 Mark
• Erklärung, dass die Arbeit selbständig verfasst wurde und andere als die angegebenen Hilfsmittel nicht benutzt wurden.
Dokument 2:
Der Mann aus der Rippe. Inauguraldissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der philosophischen Wissenschaften (Dr. phil.),
vorgelegt einem ausserordentlichen Rat aus Befugten,
von Herta Kowaltschik (Hero),
geboren 21.6.33, in [Schoophaue?], Sachsen.
Berlin, am 26.4.1987.
Fotografie (Akt), Format DIN A4, Schwarz-weiss-Vergrösserung, aufgenommen mit Kleinbildkamera "Praktina", 1/100 Sek., Blende 8, O-Wo-Film, 27 DIN.
Dass der unter §4, Abs. 6 der Promotionsordnung festgelegten Bedingung, die Arbeit deutschsprachig vorzustellen, genügt wurde, kann während der Verteidigung durch Befragung der Arbeit, bzw. Konversation mit ihr, überprüft werden.
Dokument 3:
Thesen.
1.
Die Arbeit verkörpert eine Philosophie, die ich "Philosophie der Tat" zu nennen mich entschlossen habe. Diese Tatphilosophie, aber unter Verwendung meines Namens auch als "heroische Philosophie" bekanntgeworden, geht praktisch von marxistischer Philosophie aus, also nicht indem sie Marx' Worte zitiert, sondern indem sie Marx' Worten nachhandelt.
[2. fehlt in Morgners Lesung]
3.
Der Satz, "Die Philosoophen haben die Welt bisher nur interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern", war der Handlungsanstoss von Marx, der neben anderen Anstössen, Anstössigkeiten und einem Ereignis meine Arbeit vorangetrieben hat, sowie heraus, natürlich nicht planmässig, andernfalls hätte ich vielleicht in der DDR zum Messer gegriffen.
4.
So wären mir viele Scherereien erspart geblieben. [Gelächter] Dieses Habilitationsverfahren, zum Beispiel, he he. Das auslösende Ereignis für meine Handlung mit dem Ergebnis in Person ereilte mich aber in Paris, zufällig. Das heisst, es hätte mich auch in Reichenbach im Vogtland ereilen können, oder andernorts auf Erden. Nicht auf dem Mond, weshalb mich ein gewisser Professor Z. mich sicher gern dahin schiessen würde.
5.
Der Ort ist so zufällig wie die Tat. Alle wirklichen Erfindungen fallen zu. Das hat selbst die Wissenschaftswissenschaft inzwischen erkannt, aber natürlich nicht begriffen, weshalb die Grundlagenforschung ihr Lieblingsrätsel geblieben ist, das sie knacken will. Eine andere Denkrichtung, der sicher Professor Z. anhängt, möchte das Rätsel Mensch knacken, auf dass die Menschenwiesen, die die Erde bedecken, nicht draufloswachsen, sondern zu englischem Rasen gebildet werden können, mit Hilfe von Rasenmähern, die die Abnormität alles Lebendigen zu schönster Regelmässigkeit zuzuschneiden in der Lage sind, dergestalt, dass die Ebenmasse eines Kunstfaserteppichs zwar nicht erreicht, aber als erreichbares Ideal wenigstens ahnbar sind. Idealnorm: der genormte Mann.
[6. fehlt]
7.
Aber Hölderlin sagt nicht, „Leben heisst, eine Norm verteidigen“. Hölderlin sagt, „Leben heisst, eine Form verteidigen“.
Die menschliche Form ist prinzipiell in zwei Formen entworfen.
8.
Kosmischer Struktur gemäss, das wusste schon Lao Tse, der etwa vor 2500 Jahren im südchinesischen Staat Shu gelebt hat, umbrandet von Menschenkriegen gegen Mensch und Natur, und diese Kriege, Anzeichen der Verluderung des Raubtiers Mensch. Er hat den Instinkt verloren, der jedes Tier vor der Selbstausrottung seiner Art schützt und vor der Missachtung seiner Form. Und indem der Mensch aus seiner Natur fiel, fiel er aus aller Natur und begann Geschichten zu machen. Die Verluderung der Form als eine Voraussetzung fürs Geschichtemachen nennt Friedrich Engels "Weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts".
[9 fehlt]
10.
Das Phänomen war vor 2500 Jahren längst deutlich. Nur die Ausrottungstechniken wurden effektiver seitdem, und heute stehen absolut perfekte zur Verfügung. Lao Tse grübelte sich zurück in die Zeit, die Historiker Vorgeschichte schimpfen, auf der Suche nach den Anfängen der Formzerstörung, um vorausdenken zu können die Regeneration der Menschheit.
11.
Heinrich von Kleist grübelte über den Weg: "Das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns. Wir müssen die Reise um die Welt machen und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist."
12.
Ein von der UNO abgesegneter Schritt auf dieser Reise: das Jahr der Frau und eine Dekade. Schluss.
13.
Gegen den Zynismus dieses Schlusses setze ich eine Tatsache, die ich natürlich habe selber schaffen müssen.
14.
Zynismus ist eine Variante der Selbstzerstörung. Wer so resigniert, kann fortvegetieren. Wer nicht aufgibt, greift zum Messer. Sich wehren heisst immer auch, sich was herausnehmen.
15.
Die Frau aus der Rippe: Garant unserer Gegenwart. Der Mann aus der Rippe: eine Hoffnung auf Zukunft.
16.
Der Mann ist tot, es lebe der Mann.
17.
Frisch geschnitten, ganz gewonnen. [Gelächter]
18.
Der neue Mann - wie alt das klingt. Das Testament aus der Rippe, Sphärenklänge.
19.
Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine kluge Frau. Hinter jeder erfolgreichen Frau steht - nichts, oder weniger. Hinter einer klugen Frau steht ein schöner Taugenichts (vgl. Lao Tse, Tao Te Tschi: "Wer nicht arbeitet, macht auch keine Unordnung.")
20.
Das Messer im Haus erspart den Umweg Erziehung. [Gelächter]
21.
Wer den Pfennig ehrt, ist des Taugenichts wert.
22.
Befriedigung der ständig wachsenden Konsumbedürfnisse der Bevölkerung: Hausgemachter kapitalistischer Sachzwang = Unkultur des Unnützen. Befriedigung der ständig wachsenden Spielbedürfnisse der Bevölkerung: Hauszumachende sozialistische Spiellust = Kultur des Unnützen. Vgl. Walther Ulbricht: "Überholen ohne einzuholen".
23.
Ein Mann, den es nicht gibt, macht noch keinen Sommer, aber Frühling.
24.
Möglicher wirtschaftlicher Nutzen des Dissertationsverfahren: Die Umwandlung eines Mannes, den es nicht gibt, also erst eines Mannes an sich, also ohne Personaldokument, in einen Mann mit Personaldokument, also einen Mann für mich. Denn ich, Hero (Frau aus dem Volk der DDR), habe mir Leander (griechisch heisst das Mann aus dem Volk) schliesslich nicht aus den Rippen geschnitten, um ihn loszuwerden. Leander, auch eine Arbeitskraft. Was gilt hier mehr?
25.
Ceteri censeo: Wer den Cherub hinter sich weiss, bleibt fähig, ihn sich vor Augen zu führen.
Dokument 4:
Akademie der Wissenschaften der DDR, Direktorat Kaderbildung
Betrifft: Promotionsverfahren H. K.
Da weder die Generaldirektion für Unterhaltungskunst noch die Akademie der Künste das Promotionsrecht haben, und sowohl die Humboldt-Universität als auch alle anderen angesprochenen Universitäten des Landes unter Vorschützung diverser Reputationsverpflichtungen den Gehorsam verweigerten, hat eine Direktive des Finanzministers die Akademie der Wissenschaften der DDR mit der Durchführung des Promotionsverfahrens H. K. beauftragt. Selbstverständlich war auch aus keinem Institut der AKW (das heisst bei uns Akademie der Wissenschaften) eine Befürwortung des Verfahrensantrags freiwillig zu erwirken. Alle Institutsdirektoren erklärten sich für unzuständig. Mit Recht, wie uns scheint, weshalb wir schliesslich Herrn Professor Doktor Filz-Hett in die Pflicht nehmen mussten. Sein Ja liegt schriftlich vor. Unsere, d.h. seine, Gutachtervorschläge: Prof. A, Prof. B., Prof. C. Mitglieder der Promotionskommission: Prof. D. , Prof. E. und, als Sachverständiger von der Generaldirektion für Unterhaltungskunst delegiert, der Zauberkünstler Ambrosius. Vorsitzender der Promotionskommission: Prof. Z.
Das Promotionsverfahren H. K. als normal einstufen, würde für Blindheit zeugen und könnte den Vorwurf der Fahrlässigkeit nach sich ziehen. Die zur Wahl stehenden Geheimhaltungsgrade erscheinen jedoch auch unangemessen. Deshalb schlägt Prof. Z. auf unseren Vorschlag hin vor, Dissertation und Dissertationsverfahren und sämtliche bei diesem Vorgang anfallenden Dokumente als apokryph zu erklären.
Dokument 5:
Lebenslauf
Also dass ich sagen kann, Elternhaus, Schule und Hochschule waren ausgezeichnete Universitäten. Was ich da gelernt habe, hat mich bewogen, meine Werke nicht schriftlich zu fassen, wie Sokrates. Der hatte seine aber herumgesprochen, und das war schon zuviel. Weshalb er zum Tode durch den Schierlingsbecher verurteilt wurde. 2000 Jahre später ist Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Diese Lebensenden, sowie die Kritik von Marx an Philosophen, die nur interpretieren, führten zu meinem Entschluss, mich solcher Interpretation zu enthalten.
Meine letzte schriftliche Äusserung, Diplomarbeit über Giordano Brunos Heroische Begeisterung, Heroica Furor.
Nach dem Staatsexamen in die Praxis gegangen und Kinder gemacht. Frühwerke: zwei Mädchen, zwei Knaben, Freinummer.
Hauptwerk: Das Testament. Alle Veröffentlichungen unter Hero. Kein Pseudonym, ein Spitzname, den ich mir an der Universität einfing und mitnahm an die Basis. Eine Zauberkünstlerin kann nicht Herta Kowaltschik heissen.
Dokument 6:
Übersicht über die von der Kandidatin bisher erzielten philosophischen Ergebnisse unter besonderer Berücksichtigung der Entstehung und des volkswirtschaftlichen Nutzens:
Heroische Philosophie ist fassbare Philosophie, anfassbare Philosophie. Der gängige Vorwurf, die Dichter und Denker des Landes hinkten hinter der Realität her, trifft auf mich nicht zu. Heroische Philosophie, ein Wohlgefallen, wäre logisch zu schliessen. Aber diese Welt funktioniert nicht nach den Gesetzen der Logik, sondern dem Oder-Glauben nach. Dieser Oder-Glaube ist eine Fortsetzung des Aberglaubens mit wissenschaftlichen Mitteln. Dem blinden Oder-Glauben setze ich sehendes Spekulieren entgegen. Spekulationsmaterial aus dem Leben gegriffen. Spekulationsorte: nicht fest. Alle Arbeiten, ob im Engagement des VEB Zentralzirkus oder im Konzept der Gastspieldirektion entstanden, wurden auf Tourneen veröffentlicht, im Inland im In- und Ausland, zuletzt nur noch im Ausland. Allen Arbeiten ablesbar sind Einflüsse der niederen Realität und der hohen Philosophie. Wer Augen hat, die sehen, der kann lesen. Die vor meinem Hauptwerk erschienenen Veröffentlichungen lassen ausser anregenden Realitäten auch den Einfluss von Kant erkennen, die drei Fragen seiner drei grossen kritischen Schriften: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Schon Nr. 1, während der Studentenzeit konzipiert, weist zudem sämtliche Merkmale des sogenannten operativen Genres auf, eine Entäusserungsart die, sofern auf der jeweiligen politischen Linie gebracht, in Form von Reportage, Aufklärungsroman oder Gelegenheitsgedicht, bei unseren Zeitungen damals als ideal Belobigung fand, nicht ohne Kontinuität bis auf den heutigen Tag.
Ein Lieblingsdichter, wurde zu meiner Studentenzeit dem Privatleben zugeordnet, das diesbezüglich und auch sonst sauber, etwas durchwachsen, ja sogar ein bisschen fragwürdig ausfallen konnte, alles akzeptabel, wenn die poetische Zuneigung nicht ausgerechnet einem Tabu galt, d.h. einem politischen Tabu, das gerade oder gerade noch aktuell war. Eine Zuneigung zu Franz Kafka, zum Beispiel, war damals natürlich keine Privatsache. Aber sonst ... Ich verachtete die Fachrichtungen der philososphischen Fakultät, die sich mit Kunst beschäftigen, und Geschmacksurteile als objektive Wissenschaften ausgaben. Ich wertete diese Fachrichtungen als Hochstaplerclubs, die der philosophischen Fakultät die Ehre abtrugen, die Ehre der Wahrheit, der echte Wissenschaft verpflichtet ist, gleichbedeutend mit Ordnung auch. Dass es nur eine Wahrheit gab, verstand sich von selbst. Wir Philosophen jedenfalls hatten sie. Und da Philosophie, aus dem Griechischen geerbt, Liebe zur Weisheit bedeutet, hiess philosophieren für mich und meine Mitstudenten folglich, Liebe zu Marx. Wozu sich Charakterköpfe nicht nur öffentlich, sondern öffentlichst bekannten, durch Parteiabzeichen. Mir gefielen Charakterköpfe, und ich lebte mit ihnen das äusserlich turbulente und innerlich geborgen ruhige Leben einer Gerechten. Bis mich eines Tages ein Schlag traf, ein Blitz, eine existentielle Erschütterung, wie sie sich mitunter zwischen zwei Menschen ereignet, und da nennt man sowas präzis "Liebe auf den ersten Blick". Ich wurde aber nicht von einem Menschen derart geschlagen, sondern von einem Buch. Das Ereignis fand in der Deutschen Bücherei zu Leipzig statt, das Buch hiess Tao te Tschi. Sein Autor, Lao Tse, war vom Blitz an mein Lieblingsphilosoph, das heisst, dass ich ihn nicht verstand, im Sinne von Durchschauen. So lieben kann der Mensch nur das Rätselhafte. Ideale Liebe: je mehr Rätsel gelöst werden, desto mehr stellen sich ein. "Kritik der reinen Vernunft": Ein Skandal, den ich an der Universität nur knapp überlebte, ohne Exmatrikulation. Dass die Praxis anders verfuhr, war allgemein bekannt, und ich wollte in die Praxis, mit einer abartigen Liebe zur Weisheit, zwar nicht nur im Kopf, aber dort wurde die Perversion am wenigsten verziehen - stand nicht irgendwo in der Bibel, man solle sich ausreissen, was störe?
Weitere realistische Anregung zu Nummer 1, Erinnerung an drei Frauen:
a) Die Dame ohne Unterleib war für mich keine Redensart, sondern ein Kindheitserlebnis auf dem Jahrmarkt.
b) Meine Mutter pflegt zu sagen, "Solange ich den Kopf nicht unterm Arm trage, fällt Deinem Vater nicht auf, dass ich krank bin."
c) Von Anne Boleyn, der fünften Frau Heinrichs des Achten von England, fand ich die ironische Rede auf dem Schafott überliefert, in der die Frau Heinrich für alle Wohltaten dankt: "Zuerst hat er mich in den Adel erhoben, dann zur Königin und schliesslich zur Märtyrerin." Annes letzte Bemerkung zum Henker, "Es geht sicher schnell, ich habe ja einen dünnen Hals", übernahm ich in Nummer 1, auch das Kostüm der Zeit. Schlusspose, nachgestellt gewissen aus Stein gemeisselten Heiligenfiguren katholischer Kirchen: Kopf vorm Bauch, von eigenen Händen gehalten. Erstveröffentlichung in circensischer Attraktion, [Poppszella?], Thüringen. Titel: "Die Frau ohne Kopf".
Nummer 2 wurde aus praktischer Vernunft praktischer Massenarbeit herausspekuliert, die der VEB Zentralzirkus nicht anders durchzog als andere Betriebe der Arbeiterklasse, der Bauernschaft und der Intelligenz, nämlich in zwei Stufen: erste Stufe: zusammensetzen, zweite Stufe: auseinandersetzen. Ich hielt mich streng an dieses Grundmuster ideologischer Um- beziehungsweise Neuformung; einzig die Idee der Änderung der Abfolge ist mein geistiges Eigentum, und auf diese Idee brachte mich eine Pantomime, genannt "Die Geburt des Harlekin", aufgeführt von einer italienischen Commedia dell'Arte-Truppe im Kreiskulturhaus des Zirkuswinterquartierorts Treuprinzen. Der erste Akt zeigt das Zimmer der Mehrheit, ausgeschilderter Raum, in dessen Mitte ein Fass, darein auf Befehl der Mehrheit ausgeschilderte Person, wie die folgenden allegorischen Figuren auch, die Liebe: ein Herz, die Geschicklichkeit: eine Hand, die Narrheit: ein Kopfbauch. Licht aus, Licht an, das erhellte, ein Ei ward aus den Zutaten geformt, eine Sonne (Stanniol) musste es bebrüten auf einem Strohhaufen, bis ein kleiner Harlekin auskroch . Sonne ab. Zweiter Akt: Herein eine Zauberin, die den kleinen Harlekin zerschnitt und in einen Kessel warf. Qualm. Dann wurden die Knitter herausgenommen und mit einem weissen Tuch bedeckt. Licht aus. Licht an, und zu sehen war ein lebendiger Harlekin, wie er unter dem Tuche hervorkrauchte. Als er zum Stehen gekommen war, schickte die Zauberin ihn auf Reisen, wobei zusätzlich Schrift auf dem leeren, aber schmutzigen Prospekt geworfen wurde, folgenden Wortlauts: Harlekin muss nach Venedig, lernen, was er nicht kann. Das Publikum, Mitglieder einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, die sich vom zuständigen Theater der Kreisstadt mit neuen Schwänken, alten Operetten und anderen regelmässigen Stücken regelmässig bespielen liess, kam sich verklapst vor vom Besten oder - gehörten Italiener gar nicht so richtig dazu? - Die Verstörung des Publikums erleuchtete mich dergestalt, dass ich in meiner zweiten Nummer weder einen Harlekin noch eine Kolumbine darstellte, sondern eine Werktätige. Die Frau setzte sich, erster Akt, auseinander, indem sie sich zerschnitt, und , zweiter Akt, zusammen, natürlich nicht zum Verklapsen, zum Gebrauchen, als Schraube, neue. Nummern mit alten Schrauben duldet kein Zirkus oder sonst. Erstveröffentlichung: "Tiere, Menschen, Sensationen", Burgstedt, Sachsen. Titel: "Eine Schraube - wie stolz das klingt."
Nummer 3 verdankt ihre Entstehung einem Impuls, einem Philosophen und einem Zauberkünstler. Der Impuls ging täglich von den Massenmedien aus. Die einheimische Medienlandschaft verschmäht für sich, was sie von der Kunst verlangt: Widerspiegelung. Mehr noch: sie verändert durch Nicht-Widerspiegelung, durch Weg-Sehen der Realität. Was an ihr zwar nichts ändert, wohl aber an der Sprachregelung über sie. Mich störte das, jeden Morgen, wenn ich meine abonnierte Zeitung aufschlug, unzählige verdorbene Tage. Bis die Erinnerung an Kants Versuch, den Begriff der negativen Grösse in die Weltweisheit einzuführen, zündete. Ich liess mir von meinem Zauberkünstlerkollegen Ambrosius den gewöhnlichen Trick "Kaninchen aus dem Hut" erklären und modelte ihn zum aussergewöhnlichen Trick, indem ich einfach das Vorzeichen änderte. Viele mittelmässigen Erfindungen sind barock; alle genialen Erfindungen sind einfach. "Kaninchen in den Hut", eine geniale Nummer. Folglich wurde sie zunächst übersehen, dann verboten, dann exportiert. Erstveröffentlichung: Estrade der Lebensfreude, Demin, Mecklenburg.
[Bandende, Aufzeichnungslücke]
... zu Grund setzenden Ausgaben, aber durchaus gearbeitet. Der tingelt, ist Verrisse gewillt. Das Schlagwort "Protheuskunst" traf die Tatphilosophie nicht verletzend, sondern inspirierend zu neuer Qualität. Es half die Spielphase zu beenden und das Testament zu eröffnen, leibhaftig.
Affektauslöser: Tschernobyl
Arbeitsanreger: das Alte Testament, Lao Tse, Marx und die Kommunalwohnungsverwaltung Berlin-[Karlsrost?].
Ich stand auf der Liste dieser Kommunalwohnungsverwaltung, seit Jahren. Warteliste für Zweiraumwohnungsuchende. Plötzlich war ich dran und musste Personalpapiere für die Ausfertigung der Zuweisungspapiere vorlegen. "Und die Papiere des Ehemanns?" fragte die Sachbearbeiterin. "Fehlen", gestand ich. "Nachreichen" , sagte die Sachbearbeiterin. "Woher nehmen und nicht mausen?" fragte ich.
KWV-Angestellte schloss kurz: eine sitzengelassene Frau. Wartelisten, für die Ewigkeit angelegt, aber viele Ehen halten nicht so lange.
Frage: "Seit wann geschieden?"
Antwort: "Nie verheiratet gewesen."
Frage: "Also, Lebensgemeinschaft?"
Antwort: "Auch nicht. Jedenfalls nicht in einer Wohnung. Mit einem Mann in einer Wohnung? Nie."
Frage: "Und da wagen Sie eine Wohnung für zwei Personen zu beantragen?"
Antwort: "Ja. Für die Frau in mir und für den Mann in mir."
Die Sachbearbeiterin verbot sich faule Witze und Irreführung der Behörden. Da ich mich jedoch partout nicht mit einer Einraumwohnung abfinden lassen wollte und die Abfertigung der den Flur vor dem Amtszimmer füllenden Antragsteller ins Stocken geriet, bedrohlich: erst Klopfen an die Tür, dann Geschimpfe dahinter, dann zuwiderhandelnd der gedruckten Weisung "Eintritt nur nach Aufruf", schloss die Sachbearbeiterin meine Akte und warf sie ins Regal zurück mit der Bemerkung: "Wenn Se keenen Mann hoam, müssen se sich ämd en ausn Rippen schneiden." Erstveröffentlichung: Hotel "Feuille [?] de Grand‘Ecole", Paris.
Name: Leander.
Dokument 7a:
Gesellschaftliche Beurteilung des Unterhaltungskollektivs Klärewald-Ost [?]:
"Und können wir nur einstimmig die Frage stellen: Wer schmeisst denn noch so mit Lehm wie unsere verdienstvolle, stets einsatzbereite und politisch zuverlässige langjährige Mitarbeiterin Hero? Ihre Nummern: Meilensteine in der Geschichte unseres Unterhaltungskollektivs, sowie des internationalen Showgeschäfts. Ihr Patent: einsame Devisenspitze. Ihr neuer Begleiter Leander: reizend.
Dokument 7b:
Schreiben von Prof. Z.
Betrifft: Gesellschaftliche Beurteilung der Kandidatin H.K.
Eine entsprechend den Rechtsvorschriften anzufertigende Beurteilung über die wissenschaftliche und die gesellschaftliche Tätigkeit der Kandidatin H.K. und ihre Persönlichkeitsentwicklung (gemäss §2, Abs. e der Promotionsordnung) ist für eine nicht-gesellschaftsfähige Person selbstverständlich nicht ausstellbar. Zudem möchte ich nicht versäumen, die höheren Orts für mich eindeutig definierte Rechtslage nochmals anzumerken, welche mich befugt, die Befürwortung des Promotionsverfahrens, seine Durchführung, aber auch die Promotionsarbeit selbst und die Kandidatin sowieso, jederzeit offiziell als nicht-existent zu bezeichnen und etwaige nicht vernichtete Unterlagen über den Vorgang, sofern sie irgendwie an irgendeine Öffentlichkeit gelangen sollten, als Fälschung zu entlarven. Die Befugnis liegt mir schriftlich vor.
Ebenfalls schriftlich habe ich die Erlaubnis, die Promotion dieser H.K. im Bericht über die Erfüllung des Frauenförderungsplans und das Showpatent LXnnnnnnn im Bericht über die Erfüllung des immateriellen Exportplans (ImEx) positiv abzurechnen. Diese Vergünstigung hinsichtlich der Jahresendprämie werte ich als kleine Aufwandentschädigung für die grossen nervlichen und physischen Strapazen, die mir und dem Gutachter aufgebürdet waren.
Eine Kandidatin, die sich von ihrem Betreuer nicht betreuen liess, eine Doktorarbeit, die dem Doktorvater nicht in wirrem Entwurfsstadium mit der Bitte um Wegweisung gebracht wird, sondern er fix und fertig suchen muss, aufsuchen muss, und auch noch im k.A. (kapitalistischen Ausland), was ausser dem Reisekaderstatus vier Ausreisestempel nötig machte, sowie Fahrkarten (ich musste zwecks Besichtigung bis Hannover, ein Gutachter musste nach Mainz, zwei mussten sogar nach Köln) - weil dieser sogenannten Arbeit gänzlich fehlt, was eine Arbeit ausmacht (Papierform) Leander besteht aber nicht nur nicht aus Papieren, er hat auch keine. Hunde ohne Papiere nennt man Promenadenmischungen, und niemand käme auf die Idee, solche Zufallsprodukte auszustellen und damit einen Preis zu machen. Leander aber, nicht mal ein Zufalls- sondern ein Unfallsprodukt, soll einen Titel machen?
Die Kandidatin hat nie bestritten, dass sie mit dem unverhofften Resultat eines missglückten Selbstmordversuchs zu promovieren beabsichtigt. Und nun will sie die Not als Tugend verteidigen, um sie einführen zu können. Durch die Hintertür eines Promotionsverfahrens will sie sich eine Einfuhrgenehmigung oder sogar einen Pass erschleichen, für eine Laus, die sie uns in den Pelz setzen will. Eine schöne Laus aber, in unserem praktischen Pelz, könnte sich zu einem trojanischen Pferd auswachsen.
Dokument 8:
Belege über die Fremdsprachenkenntnisse in der russischen Sprache sowie einer weiteren lebenden Fremdsprache.
1. Russisch:
Sprachkundigenprüfung II e abgelegt, Datum, Unterschrift, Kenntnis [unverständlich: eigenSchul-Universitätgewisses]
2. Natürlich:
Sprachkundigkeit schriftlich nachgewiesen durch die Thesen. Eine Übersetzung aus dem Natürlichen ins Deutsche.
Bisher war ich nur Männern begegnet, die Hineinlesen erforderten, die ich imaginieren musste, um sie lieben zu können. Ver-Kennen, nicht er-kennen. Freilich wusste ich, dass Luther den Liebesakt in der Bibel mit dem Wort "erkennen" übersetzt hat. Aber ich dachte bisher nichts. An dieser Stelle wurde beim Verdolmetschen mal nicht dem Volk aufs Maul geschaut, sondern der Wohlanständigkeit nach dem Mund geredet mit einer Umschreibung, die gänzlich verhüllt. Leander zeigt mir, dass sie gänzlich enthüllt. Der Patriarch Luther schweigt zuweilen, und das Genie Luther tritt aus seiner Zeit und ruft zeitlose Wahrheit in taube Ohren.
Das heroische Testament Leander ist ein Mann zum Heraus-Lesen."
[Applaus]
Rusterholz: Stehen Sie noch für Fragen zur Verfügung?
Morgner: [Überlegt, zögert] Entweder man kommt vom Hundersten ins Tausendste, und es gibt überhaupt kein Ende. Also, ein Vorschlag zur Güte, natürlich, wenn ich wieder so weggehe, ist das vielleicht unanständig. Ich möchte also einen mittleren Weg finden, weder unanständig zu sein, noch dass wir morgen noch da sitzen. Wie wäre denn also, eine halbe Stunde? Also, ich setze mich mal hin, und Sie überlegen sich die Sache, und wer will kann gehen ...
Frage: Können Sie uns etwas über den Titel, "Cherubinische Wandersfrauen" sagen? Oder geht das schon zu sehr ins Geheimnis des Buches?
Morgner: Also, innerhalb des Textes ist doch das Kleist-Zitat.
Nachfrage: Also, Sie beziehen sich eher auf Kleist als auf Angelus Silesius?
Morgner: Angelus Silesius ist auch nicht übel. [Gelächter, und im Gelächter] Obschon das mir auch wieder fremd wäre. - Also, natürlich nicht dieses Bild, das Kleist gemacht hat, das trifft die Situation, dass ich ein poetisches Bild nehme, aber Angelus Silesius - das können wir hier nicht auseinander wickeln, das wäre zu weitläufig. Jedenfalls hatte ich in einer bestimmten Weise eher das Gefühl, dass der Mensch aus dem Stoff des Ganzen gemacht ist, Angelus Silesius - Geist und Materie irgendwie tief drinnen, etwas das man nicht abweisen muss, sollte, und [spricht sehr leise, unverständlich] ja, es gibt ein paar [unverständlich], die er ganz schnell geschrieben hat, da ist das drin. Sogar, sagt er, wenn ich nicht wär, gäbs keine Wörter, und in dem Zusammenhang würde auch kein Gott mehr sein. Also, er hat diese, das was - es gibt da gewisse Anklänge. Inzwischen hinterfragen ja die Köpfe von allen möglichen Wissenschaften ihre Wissenschaft, als ob sie vom Himmel gefallen wäre, warum machen wir das eigentlich? Warum denn bloss? Warum eigentlich Germanistik? Ich meine früher war das nicht so, aber heute? Sinn hats irgendwelchen nicht, und so ...
Frage: [dreht sich um die Problematik des Wiedergebens des Kleist-Zitats, ob es ihr Mühe gemacht habe, das aufzuschreiben].
Morgner: So einen Satz, den schreibt man mit allergrösster Hochachtung und Respekt hin, da steht man innerlich auf, um den hinzuschreiben. Das ist ne Ehre, diesen Satz hinzuschreiben und auch zu zitieren. Es gibt nicht so sehr viele, aber einige gute Sätze, die man zitieren sollte, weil ungeheuer viel Unsinn wiederholt wird, aber so gute Sätze weniger. Es liegt vielleicht daran, dass sie so gut sind, dass sie keiner merkt, wie den Wald ...
Rusterholz: Meine Damen und Herren, wenn Sie keine weiteren Fragen zu stellen haben, Frau Morgner wollte ursprünglich nicht diskutieren, nicht für Fragen zur Verfügung stehen. Ihr überwältigendes Interesse und die Zahl Ihres Erscheinens hat sie offenbar doch dazu gebracht, doch den Versuch zu machen, auch wenn sie begreiflicherweise in dieser Zahl nun doch einigermassen scheu sind. Wenn allenfalls im kleineren Kreise noch Interesse besteht, Fragen zu stellen, so wird sie sich dem sicher nicht verschliessen. Für den grösseren Kreis würde ich aber doch vorschlagen, Frau Morgner Gelegenheit zu geben, jetzt zum Essen und zum Trinken überzugehen, möchte ich Ihnen herzlich danken für Ihr Interesse und Sie nochmals um Applaus bitten für Frau Morgner.
[1] Morgner, Irmtraud:
Die Hexe im Landhaus. Gespräch in Solothurn. Mit einem Beitrag von Erica Pedretti. Hrsg.: Patrizia N. Franchini, Suzanne Kappeler, Silvio Temperli in Zusammenarbeit mit Franz Zeno Küttel. Zürich: Rauhreif Verlag, 1984.
[2] Morgner, Irmtraud:
Amanda. Ein Hexenroman. Darmstadt und Neuwied: Luchterhand Verlag, 1983; Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag, 1983.